Nikabra-Rätsel 2008
Freunde des Rätselns und Erfindens:
Wie könnte ein hoch aufragender Turm heißen, der Fenster, Ein- und Ausgänge hat, reich verziert und doch schlicht ist, Ausblick bietet und Einblick gewährt, zum in sich gehen und über sich hinaus, Sprachverwirrung zuläßt und bindet, Dunkel und Licht, Wurzeln und Streben vereint?
Antworten bis zum 5. Dezember 2008 um 12 Uhr. Es gibt einen Preis.
Frohes Träumen und Leben
wünscht
Silke
Dank an alle, die mitgerätselt und –geträumt, und mich damit erfreut haben! Der Turm von Babel, an den ich nicht dachte, wurde öfters genannt, auch nicht dachte ich an einen Baum, dieses Bild gefiel mir aber ganz außerordentlich und fühlt sich wahr an. Niranya Talah von Susanne berührte mich, die all times Rätsel-, Kreativ- und Forscherhelden Robert, Michèle und Kristine steuerten wieder eloquente Lösungen bei, und für mich ganz persönlich lautet eine Antwort momentan Hakomi – was fast schon wieder ein Rätsel sein könnte.
Richtig und falsch gibt es dieses Jahr ebensowenig wie richtiger und schöner. Deshalb hat schlicht das Los zwischen allen Teilnehmern entschieden … und fiel auf Eva Hoelker! Herzlichen Glückwunsch und die CD „Aguas Iguais“ von Rossana & Zelia nach Berlin!
Hier alle Einsendungen:
Bablynx – Miriam
Ein schöner in den Himmel hochragender Baum im Sommer! Eine schlanke Ulme, die kann alles Gesuchte herbergen. – Adela
turm zu babel! obwohl auch das bild von einem schneckenhaus aus perlmutt in mir auftaucht – eva
torre de las maravimposibles 😉 – inés
Turm von Babel – Mike
Hotel des Lebens – Luis
Baum – Alfred
Turm zu Babel – Anja
Niranya Talah – Susanne
Zikkurat von Etemenanki in Babylon – Lucia
Babel-Lux-Tower – Brigitta
ich bin ja eigentlich schlicht für „Baum“ (Fenster in den höheren Etagen für Baumnister, Ein- und Ausgänge für die Bodenbewohner, der Rest erklärt sich von selbst, nur die Sprachverwirrung vermag ich nicht aufzudröseln – Stammbaum, Baumstamm, baumlang, Langbaum, Baumarkt, Kaumbart, Bau-m-ast, Bat-Maus?), – Martina
La torre invisible – José
Robert:
Albaranahm oder Albukantarat
Brüstelin
Chamsin
Diudrast-Dürchelie
Ein Sonntag im August
Firinga
Gallabiya-Formant
Hidschrahuri
Inbuwewander
Junkbrünnenjerba
Kanzelluxulin
Lützteloht
Mullulumbra
Narrelinxlein
Osteliezierrat
Pallalander Ehrenpreis
Quatemberhochdietor
Rambuzzenhort
Salepposwebewurzelung
Trutzhereinspaziert
Ulema-Herzensdurst
Verdoestetrumgeschwahr
Winzürle
Xololotl
Ypsülong
Zalpamina Zwickzwacksteig
Michèle:
es könnte ein „Elfenbeinturm zu Babel“ sein
[mit hoffentlich einem J.L.Borges als Gärtner und einem U.Eco als Koch der Buchstabensuppe]
Im Pergamonmuseum gab es in diesem Jahr eine sehr interessante Ausstellung zu „Babylon – Mythos und Wahrheit“.
Dort fand ich unter anderem folgendes Gedicht über die Menschen und ihre Gedanken beim Türmebauen:
This is the making of Towers This is the making of Civilization This is the making of the Impossible This is the making of Glory This is the making of Failure This is the making of Confusion This is the making of Translation This is the making of Difference
Und ich fand folgende Gedanken über Türme, die bereits bestanden haben bzw. bestehen (in Klammern ihre Erbauer und den Grund ihrer Zerstörung)
Im Hinblick auf die mehr als drängenden Fragen bezüglich dessen, wie wir Menschen mit ihrem Habitat, der Erde umgehen, und zeitgleich zur Weltklimakonferenz in Posen scheint mir die prophezeite Zerstörung des vierten Turmes durch einen Sandsturm, hervorgerufen durch weltweite Dürre als bemerkenswert.
Impossibility of Completion: construction and deconstruction = the rise and fall of Towers
. Tower of Babel: (Nimrod / God)
. Turris Babel: (Athanasius Kirchner / catapulted beyond the solar system)
. Twin Towers: (Rockefeller / Al Quaeda)
Burj Dubai: (SOM / Sandstorm resulting from global drought)
Kristine:
Dieser Turm heißt, eindeutig, ELFENBEINTURM DER WISSENSCHAFT. Und diese Bezeichnung ist mitunter negativ konnotiert; ganz und gar zu unrecht.
Der Elfenbeinturm der Wissenschaft muß „hoch aufragend“ sein – das ist einer der Vorwürfe, die ihm begegnen. Er m u ß hoch sein; aber er ist erklimmbar. Man kommt in ihn hinein, man kommt hinauf, aber es ist eben eine Sache, für die man was tun muß, für die man kämpfen muß; man muß treppensteigen, beharrlich; man darf die Spitze des Turmes – und diese ist viel, viel breiter und weiter als man von außen annehmen möchte – dabei nicht aus den Augen verlieren.
Die Turmspitze sieht von unten aus wie eine Spitze. Ist man angelangt, stellt man fest: es ist eine Plattform, nein, mehr als das: es bietet viel Raum; Vielfalt, Unerwartetes, ja sogar: es geht noch höher. Irgendwo findet sich noch ein Gang, noch eine Treppe; eine Tür, ein weiterer Raum. Im Grunde kann man gar nicht an der Spitze anlangen. Man kommt nie ganz oben an. Nur für diejenigen, die sich nicht die Mühe machen, den Turm zu besteigen, hat dieser Turm eine Spitze.
Der andere Vorwurf, dem dieser Turm oft begegnen muß, ist der der Einsamkeit. Hoch oben im einsamen, windumwehten, isolierten Elfenbeinturm der Wissenschaft: ja und nein. Das mit der Einsamkeit stimmt zum Teil: aber Einsamkeit ist notwendig, um sich in dem Turm zurechtzufinden, um seine Türen, Räume, Etagen, Zimmer, Treppen, Nischen: seine Facetten, seinen Reichtum kennenzulernen, zu erkunden, darüber nachzudenken, den Weg fortzusetzen. Das ist der Aspekt „zum in sich gehen“: Einsamkeit, konzentriertes Nachdenken, Arbeiten.
Aber es stimmt wiederum nicht. Denn all die, die die Mühen der Turmbesteigung auf sich nehmen, treffen sich dort. Man ist nicht einsam. Man trifft Gleichgesinnte. In der Diskussion, im Austausch, durch die Kritik, mit dem Bewußtsein, nie ausgelernt zu haben, so wird man reicher, verbreitet seinen Horizont, lernt dazu, verbessert sich, verläßt die engen Bahnen des eigenen Gehirns, überholt sich selbst: das ist der Aspekt „zum über sich hinausgehen“.
Und auch das Material. Für die Kritiker eindeutig: Elfenbein verwendet man doch nicht für Türme, das sind diese weltfremden vergeistigten Wissenschaftler mit null praktischer Intelligenz. Es ist rausgeworfenes Geld, man könnte es besser woanders, in was anderes investieren. Für die Liebhaber des Turmes ist es ebenso eindeutig: ein kostbares, edles Material; stark und zierlich zugleich; und nichts ist so kostbar wie das Wissen. Also ist das Material dem Zweck angemessen. Die Wissenschaften, die Forschung, müssen gefördert werden.
Es hat „Fenster“ – man braucht einen weiten Blick für die Wissenschaft; er hat „Ein- und Ausgänge“: man muß dafür mobil sein, flexibel, geistig wie tatsächlich. Eingänge hat er: Einladend für jeden, der sich dazu berufen fühlt und reinwill. Und, ganz genau: Ein- und Ausgänge im Plural: man kann sich von vielen Seiten annähern, es gibt viele Disziplinen und Richtungen, viele Zugriffsmöglichkeiten, Methoden. Die Ausgänge dienen nicht nur dazu, daß man jederzeit wieder loskommt von der Wissenschaft. Sie dienen auch dazu, daß die dort erzeugten, erdachten, erforschten Ergebnisse, Gedanken, Bücher, Kenntnisse, Neuheiten auch ihren Weg rausfinden in die Gesellschaft. Deswegen klappt es ja auch mit der Wissenschaft, deswegen kann auch der oft gehörte Vorwurf (weltfremd, ohne jede Verbindung zur Realität, zum wirklichen Leben) nicht aufrechterhalten werden: Der Elfenbeinturm hat viele Kommunikationswege zur Außenwelt. Die Fenster, Ein- und Ausgänge zeigen: Der Turm ist durchlässig, nicht abgeschottet, offen.
In diesem Zusammenhang steht auch die Sache mit „Ausblick bieten und Einblick gewähren“. Man braucht im Turm selbst den Ausblick, damit man beim Forschen nicht die größeren Zusammenhänge, den Blick aufs Ganze verliert, damit man sich immer des Zieles bewußt ist. Keine Forschung sollte zum Selbstzweck gemacht werden, es braucht den weiten Horizont, eben den Ausblick. Ausblick aber auch im Sinne von Perspektive: für den Wissenschaftler, für seine Forschung; daß seine Ergebnisse nicht für die Schreibtischschublade bestimmt sind, daß sie nicht irgendwelchen Kürzungen zum Opfer fallen. Einblick gewähren wiederum bedeutet, daß man einerseits seine Ergebnisse mit den Kollegen teilt, diskutiert, zur Diskussion stellt; seine Forschungen in Form von Vorträgen, Artikeln, auf Konferenzen und Symposien vorstellt; andererseits aber auch, daß man die Nicht-Fachwelt daran teilhaben läßt, daß man auch „normale“ Bücher über seine Wissenschaft schreibt, Ausstellungen macht oder in sonstiger Weise die Ergebnisse seiner Arbeit unter die Leute bringt, verständlich für Nichtfachleute, und zugleich von hoher Qualität.
Der Turm ist „reich verziert“ – das ist eindeutig; die Welt der Wissenschaft ist so vielfältig – man denke nur an die einzelnen Disziplinen, und innerhalb dieser die einzelnen Fachgebiete! Reich verziert ist aber auch im konkreten Sinne zu verstehen: ein Biologe denkt vielleicht an die Vielfalt der Tiefseefische, der Bakterien, der Gene; ein Mathematiker vielleicht an die Fraktale oder die unendlichen Zahlen, der Astrophysiker an die Menge der Teilchen, die vom Himmel fallen, der Musikwissenschaftler an die reiche Vielfalt an Tönen, die zusammengesetzt eine reiche Vielfalt von Musikstücken ergeben – ich weiß es nicht, auf diesen Gebieten bin ich, wie man auch an den Beispielen sieht, Laie. Der Altertumskundler denkt vielleicht an attische Vasen, oder an ein üppig ornamentiertes römisches Gesims, an die Sprache der homerischen Epen, an die Vielfalt der Gedanken, die von den griechischen Philosophen geäußert wurden, an die Metren der Gedichte, es ist ein unendliches Gebiet. Aber nicht nur die zu untersuchenden Gegenstände fallen bei „reich verziert“ ein. Die Wissenschaft selbst, die Methoden, die Zugriffsweisen, auch die Wissenschaftsgeschichte bieten einen unerschöpflichen Vorrat an Assoziationen mit „reich verziert“. Der Turm, reich verziert, Elfenbein: eine kostbare Sache, ein wertvolles Gut! Man sollte die Kultur und die Wissenschaft schützen.
Gleichzeitig das Adjektiv „schlicht“, was auf den ersten Eindruck ein Widerspruch ist. Nein, keineswegs: das „schlicht“ bezieht sich auf die Sprache. Die wissenschaftlichen Ergebnisse wollen in einer klaren, schlichten Sprache präsentiert werden; Präzision und Schlichtheit ist die beste Kombination für das Verfassen der wissenschaftlichen Traktate.
„Sprachverwirrung zulassen und binden“ ist ein Bezug vom Turm von Babel. Turm hier, Turm da; was beim Turm von Babel schlecht ausgegangen ist, ist hier etwas positives. Die Wissenschaft ist vielfältig, die Wissenschaft ist bunt; und sie sollte in vielen Sprachen betrieben werden; Fachliteratur in anderen, fremden, Sprachen ist für den guten Wissenschaftler kein Problem. Auch auf Konferenzen sollte die Sprachvielfalt kein Problem sein; das Betreiben der Wissenschaft setzt einen weiten Horizont, mannigfaltige Kenntnisse nicht nur im eigenen kleinen speziellen Bereich und eben auch sehr viel Handwerkszeug voraus. Deswegen das Verb „zulassen“. Das andere Verb, „binden“, hingegen besagt, daß das gemeinsame Interesse, das gemeinsame Streben nach der Erforschung von den jeweiligen Gegenständen, auf lange Sicht die Gedanken, die Ergebnisse, die Forschungen bündelt, unabhängig davon, auf welcher Sprache sie gedacht, niedergeschrieben, ausgesprochen wurden. Mit Sorge beobachte ich deshalb die zunehmende Einengung der Sprachvielfalt auch in den Geisteswissenschaften.
„Dunkel und Licht verbinden“ hat mehrere Aspekte zugleich. Der naheliegendste ist sozusagen die konkrete Bedeutung. Das ist die beinahe schon zum Klischee gewordene „Elukubration“. Im Fremdwörterlexikon findet man dazu: Wissenschaftliche Betätigung bei nächtlichem Lampenschein. Das Bild vom einsamen Gelehrten, der noch in später Stunde über seinen Büchern sitzt und liest, das Dunkel, die Nachtzeit, mit dem Lampenschein, also dem Licht, verbindend.
„Dunkel und Licht verbinden“ versteht sich natürlich auch im Sinne von Erkenntnisgewinn; Licht ins Dunkel bringen im Sinne von Erforschung von Sachverhalten, Entdeckung von Neuem, Erfindungen. Und schließlich auch in der geschichtlichen Dimension: Fortschritt durch Wissenschaft; oder als Beispiel die Zeit der Aufklärung, die etwa auf Italienisch „illuminismo“ heißt, wo noch viel mehr das wort Licht, lumen, drinsteckt. Es bedeutet aber auch, auf der subjektiven Ebene, daß der Forscher, nach einer langen Strecke durch die Dunkelheit (dafür gibt es verschiedene Umschreibungen: Durststrecke, man sieht nicht, wo es langgeht, …) endlich das Licht findet (anders: er löst das Problem, der Knoten platzt, die Forschungsergebnisse fallen nach langer Arbeit endlich wie reife Früchte vom Baum). Die wissenschaftliche Arbeit wird von denen, die sie betreiben, sicherlich oft als Freud und Leid zugleich, oder eben nicht zugleich, sondern zeitversetzt, empfunden. Sie bringt einem höchste Freude, Erfüllung, Begeisterung – dafür steht Licht. Sie kann einem auch zur Verzweiflung treiben, einen aufbrauchen, alle Kräfte auszehren, „wunderlich“ werden lassen: das wäre das Dunkel.
„Wurzeln und Streben vereinen“ spricht für sich. Wurzeln, weil die Wissenschaft sich oft damit beschäftigt, und nicht nur im Falle der Altertumskunde. Und das Streben ist eben die Tätigkeit des Wissenschaftlers.
Deswegen lautet die Lösung: Dieser Turm heißt ELFENBEINTURM DER WISSENSCHAFT.